Verstehe einer seinen Andi....


Seit Jahr(zehnten) arbeite ich mit Arabern und auch andere Rassen sind mir nicht fremd: der stets zu scherzen aufgelegte Haffi-Kumpel von Mutabor, der gutmütige Hannoveraner, auf den ich mich schon setzte, obwohl er erst einige Wochen unter dem Sattel war, die kalibrigen Polenimporte meiner Freundin, die manchmal dickköpfig, aber immer händelbar sind, das dominate Minipony, dass mir graue Haare bescherte - und so viele andere mehr.

Ist denn ein Andi soviel anders? 

Meine Freundin lachte, als sie mich hörte. Warts nur ab - Du wirst schon sehen...

Mein erster Kontakt waren die reinen PRE´s von Familie Fronz.

El Gitano - der Deckhengst dort zeigte sich unerhört dressurveranlagt, nervenstark und sensibel.
Dressurveranlagung - ok - die ist seit Jahrhunderten angezüchtet.
Und Hengste sind ohnehin eine (wunderbare) Klasse für sich.
Gitano bescherte mir ein unvergessliches Reiterlebnis - das ich jedoch ganz auf ihn - auf ihn alleine bezog.


Und dass sich alle Fohlen dort anfassen ließen - auch im Liegen auf der Weide - ganz klar - liebevolle Aufzucht. Dass auch der Junghengst dort sensibel und doch äußerlich ruhig war - kompetente Ausbildung...

Mein eigener Andi konnte kommen: Momo.

Anfangs natürlich noch ein Babe. Aber ein liebes.
Und ein treues Kerlchen. Er war schon einige Monate von Mama abgesetzt, da wurde sie - mit neuem Fohlen - auf die Weide neben ihn gebracht. Seine Mama war wieder da - er sprang über den Zaun und wurde von Mama böse weggejagt. Das arme Kerlchen verstand die Welt nicht mehr.... Seine Züchterin sagte, er stand noch lange ganz bedröppelt auf seiner eigenen Weide - Mama mag ihn nicht mehr!
Das ganze ging ab ohne Blessuren - und ich fragte mich, was wohl in ihm vorgegangen war...

Später wurde er dann kastriert und hatte das Vertrauen und die Gelassenheit danach solange liegen zu bleiben, bis die Narkose fast vollständig fort war. Erst dann stand er ganz ruhig auf.
Ein Pferd mit soviel Nerv - phantastisch dachte ich.
Andererseits - Hänger - nein danke!
Alleinlassen - no thanks!
Stillstehen für mehr als zwei Minuten - ne ne!
Alles ganz normal Jungpferd dachte ich...

Das erste Mal, als ich merkte, dass da etwas ganz anders war, geschah beim Üben durch einen kleines harmloses, ganz flaches Wasserbecken....
Nichts - aber auch rein gar nichts brachte ihn dadurch. 
Nicht dass er nach uns trat oder dergleichen  - auch nicht als wir ihn mit vier Mann von hinten anschoben... Er stand da wie ein Sägebock - aber durch das Wasser ging er nicht.
Stur wie ein Esel - dachte ich.
Ich führte ihn mehrmals an, ich lockte mit Leckerchen, ich half mit der Gerte nach - NICHTS half - ich wurde langsam aber sicher ratlos.
Schließlich ließ ich ein paar Tage ins Land gehen, nahm dann meinen sturen Jüngling, einen Topf geschnittene Möhren und ein langes Führseil.
Nun legte ich eine Möhrenspur - an das Wasserbecken heran - und hindurch....

 

Momo fraß sich an die Schwelle zum Hindernis heran und blieb dann stehen - sehr lange - unendlich lange... dann streckte er den Hals ganz lang und nahm das erste Stück Möhre aus dem Wasser. Das zweite erreichte er auch noch so - wenn auch schon recht wackelig, da Hinter- und Vorderbeine fast auf einem Fleck standen.
Dann stand er wieder da und sah zum nächsten Möhrenstück.
Ich hatte mich inzwischen hingesetzt und machte gar nichts.
Der denkt nach, dachte ich plötzlich. Unsinn - der schaltet auf stur oder?

 

Doch dann - ganz selbstverständlich stieg Momo ins Wasser und fraß sich in aller Seelenruhe durch das Wasser. Ich stand auf, drehte ihn um und wir gingen zusammen - warum auch nicht? - durch das Wasser.
Der hat DOCH nachgedacht - der brauchte diese Zeit für sich.
Ich hatte mir an ihm die Zähne ausgebissen und er hatte mir gezeigt, wie er am besten begreift...
Ob solche Pferde nicht bei anderen Besitzern Schwierigkeiten bekommen und ihr Verhalten als Verweigerung auslegen?
Ich kam doch langsam ins Grübeln.
In jedem Fall nenne ich Momo seitdem des Öfteren einfach "Möhrchen"...

Die Gewöhnung an Trense und Sattel war kein Problem. Er sah sich alles genau an - auch den Sattel und später den Reiter auf seinem Rücken - und es war gut.
Hatte er einen albernen Tag, machte er das Maul nicht auf. Erst dachte ich, er würde nicht wollen oder es wäre ihm unangenehm - bis ich merkte, dass ich Diejenige war, die hier getestet wurde!
Ich schnauzte ihn kräftig an, hielt ihm das Gebiss hin und wie ein Engelchen nahm er es ins Maul.
Ich war verblüfft - das Kerlchen hat mich ausgelotet, wie weit er gehen kann... und er sah mich an mit Samt in den Augen und Schalk im Nacken.

Auch das Laufen-lassen musste ich mit ihm neu lernen.
Seine Gänge waren - na ja - verbesserungswürdig - aber für  junge Pferde ist das normal.
In der Theorie wusste ich, dass man einen Andi in langsamen Gängen fördern soll. 
Aber in der Praxis hatte ich gelernt, wie man sein Pferd in Schwung bringt, wie man mit Tempi arbeitet und dabei die Hinterhand aktiviert - und bei meinen Arabs hatte das ganz wunderbar funktioniert. 
Ich fing an herumzuprobieren, arbeitete mit Stangen, sah, wann mein Pferdchen seine Hinterhand einsetzte und wann nicht.
Der schleicht ja dahin, hörte ich meine Stallkameraden unken.
Mir egal - Momo zeigte mir deutlich, was er brauchte.

Je mehr ich mich darauf konzentrierte, ihn hinten zu aktivieren und dabei ruhig zu halten, desto besser wurde er. Rasch begriff ich, dass ich ganz furchtbar aufpassen musste, damit ich sein Talent für die Versammlung nicht ausnutzte. Vieles wird diesen Pferden in die Wiege gelegt, was man anderen mühsam beibringen muss.
Das birgt die Gefahr in sich, diese Tiere zu früh zu stark zu beanspruchen - sie auszunutzen, bis sie nicht mehr können. Ich denke, viele der Andis, die man günstig (und verdorben) angeboten bekommt sind Pferde, die Anfangs willig waren zu geben und zu geben und zu geben... Bis ihre Grenzen kamen und sie nicht mehr geben konnten und bestraft wurden - eine Strafe, die sie bestimmt nicht einsahen.

          

Was mich zum Gerechtigkeitsempfinden führt. DAS ist etwas, was ich von Mutabor noch sehr gut kenne. Er war allerdings immer sehr deutlich in seinen Unwillensäußerungen - und er konnte eingeschnappt sein, wie kein zweiter.
Momos Reaktion, wenn er etwas nicht versteht oder meint, ich mache etwas mit ihm nicht richtig, ist gänzlich anders. Er wirkt dann fast abwesend, schaltet augenscheinlich auf stur - aber sein Maul-lecken und sein Ohrenspiel verraten ihn.
Ich  habe gelernt dann aufzuhören - etwas anderes zu machen. Tage später bringe ich das Thema dann wieder aufs Tapet und oftmals klappt es dann auf Anhieb - ich sage dann immer, Momo hat Hausaufgaben gemacht.
Sein Ruhe ist manchmal nur gespielt, seine Coolness nur Fassade. 
Das macht es leicht, mit ihm zu arbeiten - aber schwer sein Arbeitspensum richtig zu dosieren. 

 

Ein anderes Beispiel: Ich arbeite am Ende einer Longen"stunde" gerne an der langen Leine - gehe dann hinter dem Pferd und lenke ihn mit Stimme und Gerte. Momo nacht das sehr gerne.

An nächsten Tag lasse ich Momo im Round laufen - doch kaum sind die Ausbinder dran, läuft er vor mir her - so als sei er an der Leine. Und er ist dabei hochkonzentriert ( und mächtig stolz).

Ich hab mitgespielt und bin hinterhergegangen und hab ihn von hinten dirigiert.
Ich fand es niedlich, wie er mir anbot, was er gerade gelernt hatte.

Doch ich merkte, dass das bei ihm keine Ausnahme ist:
Einen Tag habe ich mit Momo an der kurzen Doppellonge gearbeitet und zum ersten Mal ein ganz bisschen Versammlung verlangt.
Tags drauf sah das im Round dann im Freilauf so aus:

      

Hab ich ihn gelobt!
Und er machte immer weiter, umrundete mich, immer und immer wieder.
Schließlich blieb er vor mir stehen und forderte was Schönes ein.
Ich hab verstanden - er wollte mir zeigen, dass er etwas gelernt hat - wie ein Schuljunge, der eifrig den Finger hochhebt und dabei schnippt.
Was - wenn man diese Motivation missinterpretiert und so ein Verhalten als Ungehorsam straft?

Langsam wird mir klar, warum es immer heißt, dass solche Pferde zwar oft vom ruhigem Temperament sind - aber dennoch nicht in Anfängerhände gehören.

    

Bei meinen Rundreisen durch deutsche Ställe, um einen Andi zu erwerben, hab ich einige Pferde erlebt, die deutlich sagten: Menschen? Nein Danke! 
Was muss diesen Tieren passiert sein? In Spanien wird oft nicht zimperlich mit Jungpferden umgegangen - und auch in einigen Händlerställen hierzulande geht es nicht immer sonderlich pferdeschonend zur Sache. 
Heute frage ich mich - waren diese Pferde auch wie mein Krümel? Neugierig, arbeitswillig, bemüht ihrem Menschen zu gefallen?
Es tut mir in der Seele weh, wenn daran denke, dass dieses kindliche Urvertrauen missbraucht wurde.
Doch ich glaube - würde man Momo so behandeln - auch er würde sich irgendwann vom Menschen abwenden und "dicht" machen.

 

Momo ist - dem Himmel sei Dank - ein fröhliches Pferd.
Nicht jeden Tag bereit Leistung zu erbringen - aber das rechne ich seinen Wachstumsschüben zu.
Ich weiß nur - auf seine ruhige - und oftmals clownhafte Art ist er ebenso sensibel, wie es mein Arab war - wenn auch auf andere Art.

Momo ist aufdringlich, liebebedürftig, neugierig, nervend anhänglich und immer "auf den Arm wollend".
Ich muss den schmalen Weg finden, zwischen Konsequenz, liebevollem Umgehen und meine eigene Abhärtung gegen seine alberne Art mich zum Lachen zu bringen.

In jedem Fall ist Momo dem Menschen ungeheuer zugetan (Menschen sind toll!) - und - wie ich mir einbilde - mir im Besonderen. Er "hilft" mir beim Abäppeln, wartet am Tor, bis ich mit allem fertig bin und er ENDLICH reindarf, er leckt mich ab, pustet mir zu gerne an die Kehle und schmettert mir bei jeder Gelegenheit seinen "Elchruf" röhrend entgegen.

Ich weiß nicht, was er mir in Zukunft noch bringt und wo der Weg uns hinführt.
Ich weiß nicht, wo seine Grenzen sind und wieweit ich ihn fördern kann - oder er mich.
Ich weiß nur, dass er ein sehr liebevolles und liebebedürftiges Pferd ist.
Und dass ich ihn liebgewonnen habe - ihn und seine eigene sensible, töffelige Momo-Art...

- und dass Andis eben doch ganz andere Pferde sind.

Alle Bilder - copyright:  S.Kitowski / Araberseite - Andalusierseite


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